Lehrveranstaltungen Lampe, Filmanalyse

Eine frühe Plansequenz

 

Auguste und louis Lumière, Der begossene Rasensprenger und Kadrierungen u. Kameraperspektiven

Der nebenstehende Kurzfilm (0:44) Der begossene Rasensprenger (L' Arroseur arrosè, 1896) ist der erste Spielfilm der Welt! Auguste und Louis Lumière konzentrierten sich sonst auf dokumentarische Filme, sie begriffen ihre Arbeit als „Spiegel des Lebens“, Inszenierungen berührten ihre Interessen nur am Rande.

Dieser erste inszenierte Film der Brüder Lumière ist insofern interessant, als er eine quasi naive Anordnung vor der Zeit des entwickelten 180°-Schemas zeigt: keine Schnitte, das Geschehen als „Plansequenz“ gedreht; nur eine Kadrierungsgröße: etwa halbtotal (von Kopf bis Fuß); die Kameraposition als master oder establishing shot eingerichtet, d.h. in einem rechten Winkel auf die Handlungsachse; die Kameraperspektive ist normalsichtig (d.h. nicht unter oder aufsichtig); keine Kamerabewegung (Fahrten oder Schwenks).

Nicht nur andere Kameraachsen einzurichten, sondern auch andere Kadrierungen einzusetzen, brauchte lange Jahre und hängt mit Verschiebungen von Konventionsen nicht nur hinsichtlich des Schnitts und Kontinuitätsproblemen zusammen, sondern mit sozialen Distanzen, auf die wir noch zu sprechen kommen.

F 1896

Kadrierungen und Kameraperspektiven

Der Vollständigkeit halber seien hier die gebräuchlichen anderen Kadrierungen (die man in überholter, weil missverständlicher Terminologie auch als Einstellung bezeichnet) aufgezählt: Der aus dem Französischen übernommene Ausdruck (cadre = Bildrahmen) bezeichnet eine Typologie von Begriffen, die in der  deutschen Terminologie zwar logische Brüche aufweist (halbtotal ist näher als total, dagegen ist halbnah weiter als nah), aber dennoch den gebräuchlichen Standard zur schrittweisen Klassifizierung von Distanzen darstellt. Hier wird – bezogen auf die Maßeinheit der menschlichen Figur – unterschieden zwischen supertotal (auch als Panorama und weit bezeichnet: Landschaft / Umgebung, in der der Mensch verschwindet), total (Person in ihrer Umgebung), halbtotal (Person von Kopf bis Fuß), amerikanisch (im Kontext des Western entwickelt, um angeschnallte Revolver zu zeigen: vom Oberschenkel bis zum Kopf), halbnah (von der Hüfte aufwärts), nah (von der Brust aufwärts), groß (Kopf) und Detail (Mund, Augen usw.).


Kadrierungen setzen nicht bloß den Rahmen der Bildausschnitte, sie tangieren auch den Beobachterstatus, indem sie soziale und psychische Distanzen definieren (die Kadrierungen nah bis Detail z.B. können die – kulturell variablen – Grenzen der Intimität überschreiten).


Kadrierungen sind begrifflich von Kameraperspektiven zu unterscheiden: Kameraperspektiven werden grob in drei Arten eingeteilt: normalsichtig, untersichtig (Froschperspektive), aufsichtig (Vogelpersepektive). Wie die Kadrierungen nicht zuletzt unterschiedliche soziale und psychische Distanzen definieren, so bedeuten Kameraperspektiven auch Machtverhältnisse (Unterlegenheit, Gleichberechtigung, Überlegenheit). Die folgenden Beispiele verbinden beide Kategorien: